1.
Die Lage
Am
15. September stellte Banana Yoshimoto ihren Roman Moshi Moshi (Diogenes
Verlag, 2015) vor. Die Autorin war extrem freundlich zu ihrem Publikum und hat
uns sogar fotografiert. Für mich war es sehr überraschend, dass das Publikum
mehrere Bücher der Autorin gelesen hatte und ihr Werk ziemlich gut kannte.
Für
mich persönlich war das Thema des Romans sehr schmerzhaft, aber nach und nach
ließ ich mich von der Autorin beruhigen. Im Roman geht es um das Leben von
Yotchan nach dem Selbstmord ihres Vaters. Dieser hatte sich zusammen mit einer der
Mutter und Yotchan unbekannten Frau umgebracht. Wie kann jemand, der (wie ich)
seinen eigenen Vater vor kurzem bei einem Unfall verloren hat, bei so einem
Thema zuhören? Mehrmals musste ich gegen die Tränen kämpfen. Wie könnte ich mir
das antun? Ich wollte etwas unternehmen und dachte, es sei eine gute Idee zur
Lesung zu gehen. Ich lag falsch mit meiner Vermutung. Ganz eindeutig war es für
mich noch nicht so weit.
2.
Vorgeschichte
Ich
stolperte auf Banana Yoshimoto zum ersten Mal mit Kitchen, der Roman,
der sie berühmt gemacht hat und sogar zwei Mal verfilmt wurde. Danach habe ich
Erzählungen und zwei weitere Romane mehr gelesen. Als ich meiner Schwester davon
erzählte und rasch die Handlungen zusammenfasste, sagte sie mir, ich würde zu
deprimierende Sachen lesen. Mir kam es nicht so vor. Banana Yoshimoto war die
zweite Autorin aus Japan, die ich las und interessant fand. Nicht weil die
Geschichten tragisch wären, sondern weil die Japanerin „anders“ klingt als die
europäischen Autoren. Hier geht es nicht darum, ob bei Banana Yoshimotos Büchern
die Figuren auf Tatamis schlafen oder Isobemaki zum Essen bestellen. Vielmehr
geht es um die Handlungen: Die Autorin erzählt von ganz gewöhnlichen Menschen,
die eine (in der Regel) große Veränderung erfahren, und lotet aus, wie sie
darauf reagieren.
3.
Zum Buch:
Ich
habe im Internet nach Rezensionen gesucht und glücklicherweise hat sich
herausgestellt, dass man ohne Probleme über 20 findet. Deswegen möchte ich gar
keine Wiederholung mehr produzieren, sondern ein paar Aspekte von der
Buchpräsentation erwähnen. Banana Yoshimoto ist eine sehr gute Beobachterin.
Wenn Sie irgendein Lokal oder eine Nebenrolle in Yoshimotos Romanen finden mit
realen Referenzen, gehen Sie davon aus, dass sie existieren. Wundern Sie sich
nicht, wenn Sie nach Shimokitazawa reisen und Ihnen alles bekannt vorkommt. Die
Erklärung ist das echte Ambiente dieses Buches.
Zur
Geschichte selbst sagt die Autorin, sie hat an einem sehr schönen, quasi
perfekten Tag eine Nachricht über einen Selbstmord in der Nähe gelesen und fand
sie schockierend. Das Thema ließ sich nicht mehr los. Und sie musste nach
Antworten suchen. Ein Besuch des Unglücksorts war nicht auszuschließen.
Da war klar: Ihr ging es nicht um das „wieso“, sondern vielmehr dachte sie an
die Hinterbliebenen. Was passiert mit der Familie? Wie gehen sie damit um? Die
ersten Entscheidungen konnte sie schnell treffen: Es geht um Mutter und
Tochter. Zuerst hat sie versucht, die Mutter als Erzählerin zu nehmen, bald
merkte Yoshimoto aber, dass eine junge, verwirrte aber kräftige Stimme
sinnvoller wäre. Wieso? Wenn Sie zu Bananas Yoshimotos Büchern greifen und sich
in einem glücklichen, unverbesserlichen Zustand befinden, dann werden Sie
sofort die Geschichte aus der Hand legen, weil Sie „sowas“ nicht brauchen. Sie
könnten sogar die Handlungen und Figuren kitschig finden. Sind Sie jedoch auf
der Suche nach Ihrer Identität oder stecken Sie in Mitten eines Verlustes, dann
werden Sie sofort den Wert solcher Bücher erkennen. Es geht nicht darum, dass
Yoshimoto Selbsthilfebücher verfasst. Das tut sie nicht. Ihre Herangehensweise
ist eine andere: Sie versucht, sich in eine solche Situation hineinzuversetzen
und Empathie zu empfinden. Das macht die Charaktere sehr lebendig und
glaubwürdig. Bei schwierigen Themen geht die Autorin auf Augenhöhe mit dem
Leser. Bei der Selbsthilfeliteratur bekommt der Leser sehr schnell das Gefühl,
dass der Autor ihm erklärt, was es zu empfinden gilt. Aber die japanische
Autorin vermeidet diesen Weg. Sie leidet mit, sie empfindet mit und das macht
ihre Bücher so besonders. Dadurch kann die Glaubwürdigkeit der Figuren in einer
gut gelungen Katharsis münden.
Die
Autorin hat ihren Vater, den Dichter Takaaki Yoshimoto, 2012 verloren, zwei
Jahre später erschien dieses Buches. Sie selbst hat vom Schreiben profitiert
für ihre eigene Heilung.
Und
ich auch. Ich war – und ab und an bin ich es noch – so verlassen. Aber Banana
Yoshimoto war am 15. September da, in Berlin. Und sie hat gesagt, sie schreibt
genau für solche Leute wie mich. Ich habe zugehört. Ich war da. Vielleicht war
das nur Zufall, aber es hat so gut getan.
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