Einführung ohne Funktion
Wenn
Sie morgens in der Berliner Bahn lachende Passagiere sehen, schauen Sie nicht
so skeptisch. Es könnte sich vielleicht um mich handeln. Ich hab neulich das
Buch Geschichten vom Franz (Christine Nöstlinger) gelesen
und mich dabei totgelacht.
Haben
Sie schon mal den Eindruck gehabt, wir nehmen unsere Routine viel zu ernst?
Haben Sie die Zeitung gelesen und nichts verstanden? Oder mit den Kollegen
geredet aber eigentlich keinen menschlichen Austausch mehr gespürt? Oder haben
Sie die Einkaufsliste in der von Ihnen festgelegten Reihenfolge erledigt und
danach vor dem ebenfalls von Ihnen frisch aufgefüllten Kühlschrank gedacht,
„Mensch, das Leben ist echt öde!“? Nein? Dann wissen Sie ganz sicherlich nicht,
was ich in den nächsten Zeilen meine.
Exkurs mit Funktion
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Neulich
las meine Freundin eine misslungene Geschichte über einen Drachen. Genau in dem
Moment, wo etwas passieren könnte, war das Buch zu Ende. Mit gutem Grund war
sie von der Kinderliteratur sehr enttäuscht und hat mich gefragt, ob ich es nicht
traurig fände, dass in diesem Genre oft (gar) nichts geschieht. Wie, nichts
geschieht?, fragte ich, aber ich wusste ganz genau, was sie meinte.
Klar, es
gibt Kindergeschichten, in denen nur Beschreibungen vorkommen, aber
eigentlich gar keine Handlung vorgesehen ist. Wolken bedecken den Himmel.
Vielleicht lacht eine und prompt ist man auf der letzten Seite.
Ja,
ich weiß. Das mag vereinfacht klingen, wenn ich behaupte, dass Literatur einen
ästhetischen Wert nachweisen kann und in der Lage ist, unsere Kulturellen bzw.
sozialen Sachverhalte / Gegebenheiten inhärent zu hinterfragen. Dieser Reduktionismus
ist (wünschenswert) in den sogenannten Subgenres wiederzufinden. Natürlich
setzt man den Akzent in der Kriminal- oder in der Kinderliteratur woanders, z.
B. in der Spannung und Auflösung des Falles oder in der Unterhaltsamkeit der
Geschichte.
Erfüllt ein Buch diese
(minimalistischen) Kriterien nicht, dann sprechen wir nicht von einem
literarischen Werk sondern nur von einem Buch der Unterhaltungsliteratur. Ab
und zu geschieht es auch, dass die Grenze zwischen Kinderliteratur und
Literatur (ohne Adjektive die letzte) unklar wird. Wenn das geschieht, wartet
man 20 Jahren oder länger, oder auch bis der Autor stirbt und dann kann man
ohne Risiko sagen, „das ist Literatur aber damals wurde dieses oder jenes Buch als Kinder- oder Jugendbuch
empfunden“. (Naja, die Literaturkritiker haben auch ihre Bedenken). Ich will,
wie gesagt, die Sache nicht unnötig verkomplizieren.
Christine Nöstlinger –
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Bände mit Franz als Protagonist hat die Österreicherin bisher verfasst. Geschichten
vom Franz (1984) erzählt gar keine komplizierte Handlung. Hier wird nichts
gezaubert. Franz ist ein stinknormales Kind, das ein bisschen weiblich aussieht
und in Schwierigkeiten gerät, wenn er aus Versehen aus der U-Bahn aussteigt, während sein Bruder
nichtsahnend weiterfährt. Franz ist ein Kind, der zum Muttertag einen
schrulligen Hut bastelt. Seine Mutter muss ihn anziehen, weil sie es
nicht über sich bringt, Franz zu sagen, dass der Hut viel zu extravagant ist.
Deshalb sehen wir die Mutter mit dem stolzen Kind beim Spazierengehen.
Zwei
einfache Geschichten. Uns ist als Kind bestimmt etwas Ähnliches passiert. Aber
ist es nicht wunderbar, dass wir solche Geschichten genießen und dabei lachen
und jünger werden? Ist es nicht schön, dass eine Geschichte plötzlich unsere
besten aber auch skurrilsten Kindheitserinnerungen zurückbringt? Ist nicht so
ein großes Glück solche Bücher zu lesen und Schwung darin zu finden, um besser
gegen unsere Routine und unseren trägen Alltag gewappnet zu sein?
Und all das in einer
unverbesserlichen Lesezeit von 15 Minuten pro Geschichte? Ich lese die
Beschreibung vom Franz und ich hab das Kind so präsent vor mir. In diesen zwei
Geschichten ist etwas passiert aber nicht nur im Buch, auch in mir.
Wahrscheinlich hat meine
Freundin noch nicht „ihr“ Kinderbuch gefunden. Und all der Schrott (1), der die
Kinderliteratur umgibt (und als solche verkauft wird), gab ihr das Gefühl, es
gehe nur um Drachen. Wahrscheinlich.
(1) Mit Verlaub, aber für viele Kindergeschichten fällt mir leider keine bessere Bezeichnung ein.
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